Nina Kluth

Nora Sdun

Katalogtext zur Ausstellung „Westhafen“ im Kunstverein Göttingen 2005

„Ich rede hier gar nicht von verschämten Töchtern, welche in Wasserfarben heimlich eine Trauerweide malen, unter welcher irgend ein bekränzter Krug steht, an dessen Fuße Vergißmeinnicht blühen, welches Werk die Mutter zum Geburtstage erhalten soll; ich rede ferner nicht von den Erzeugnissen, welche Reisende von dem Dampfschiffe oder dem Fenster ihres Gasthauses aus in ihr Handbuch als Erinnerung eintragen; ich rede auch nicht von den Landschaften, welche Schönschreibmeister in ihre Verzierungen verflechten, noch von den Packen Zeichnungen, welche alljährlich in den Fräuleinschulen verfertigt werden, unter denen sich viele Landschaften mit Bäumen befinden, auf denen Handschuhe wachsen.“ (Stifter, Nachkommenschaften)

Ich rede von Ereignissen. Jetzt ist nämlich schon wieder was passiert. Hätten sie nicht gedacht, so anmutig wie sich die Böschung schließt aber eben ist ein Auto vorbeigefahren. und Nebel wird es auch geben, aber erste heute Abend. Hier kann man etwas gemalt sehen, wildgewordene Natur in der Stadt. flatternd zappelt Laub durchs Bild, ein grünes Gehölz im Hintergrund, noch dahinter eine Brücke noch weiter dahinter die Stadt. Hinter-, Hinter- und Hintergrund plus ganz Vorne, etwas daß man nicht scharf stellen kann, weil es so dicht ist. Naheliegend wäre zu denken, es handele sich hier auch um Geäst oder Laub vielleicht ist es aber etwas anderes, man wird das nie wissen. Um zur Anmut zu kommen, das kann man jetzt mal wissen, souverän ist das, also auch anmutig und mit der Malhand auf allen Stellen auch den Weißen, aber harmonisch – nein.

Hier ist zu sehen in welchem Maß dem Zwang des Gebildes gehorcht wird. Es gelingt dennoch und zwar desto vollkommener, je spurloser die Intention im Gemalten aufgehoben ist. Da reißen die Äste ab, brechen schwarzblaue Brocken von der Decke oder was ist das, wieder so eine Sache die man nicht scharf bekommt. krümmt sich würgend ein Stab, rastet ein Dickicht aus. spratzt , kratzt, forkelt die Natur, aber es gibt ja auch Häuser mit Rechtenwinkeln, Türen, Fenstern, Dächern , alles am richtigen Ort, geradezu geordnet.

In der Mediävistik sind wilder Wald und weite Welt seinsidentisch, heute gibt es dann das Dickicht der Städte, auch sehr gut zum verlaufen. Blöd rumsuchen kann allerdings jeder, finden das ist es.Verquälte Begierde nach Harmonie ist es immer, aber vor allem natürlich nach Malerei. Gefühle hat man früh genug.
Eine illustre Gruppe Gebüsche findet sich jenseits der staubigen Kunstpisten in einem Streßgärtlein abgestoppter Andacht. Sehen sie da hinten ist die Tür. Dies sind Urteile ohne Begründung. Besser noch, die Kunst begründet das Urteil. Wer sehen mag, schaut in eine Abgeschiedenheit.

Menschenleer sind die Bilder. Zivilisationsscham verraschelt. Flache Viereckige Willenspillen, Willenslaub. Man verengt die Einflußsphäre. Wozu dient das Gestrüpp? was ist damit gemeint? Welche Jahreszeit man hat? Ist das Alles? Das man sich bewegt und Pflanzen nicht so? Um welches Medium es sich handelt? Landschaftsmalerei. Es ist kein Selbstportrait. Für das Herausragende soll eine Lösung gefunden werden, die nicht Romantisch ist.
Drei gestaffelt, drei Todsünden, 3 Musketiere, 3 Faltigkeit, drei Sprung, drei Weise aus dem Abendland, sehr europäisch , kann man schon an den Laubformationen sehen. Außerdem Laub – Hochbrücke ein Haus.

Ist das eine Straße oder eine Lichtung, hat der Reiseveranstalter hier das falsche Bild ausgesucht, hat das Bild außer das es wirklich ist, auch noch der Wirklichkeit zugenügen oder ist es wie Urlaub, schließlich entzieht sich die Wirklichkeit sowieso unserer Handhabung, weshalb man geschwind ein Bild macht, und anschaut um diesen Prozess zu unterbrechen. Die grüne Zelle. Fleckend, winkelnd, eine Schlammfläche miederfarben. ein weißes Haus mit rotem Schindeldach, Komplementäres leuchten, rot grün rot grün. ocker lahmt , hochreißende stangen. kleinstaaterei der Zentren. Schattig. Und Interessant, wenn man später einmal wieder vorbeikommt ist schon wieder etwas passiert.

„Es war in der tat längst nicht mehr auszuhalten, immer von der freien und für sich bestehenden Welt des Schönen, welche durch keine Realität,durch keine Tendenz getrübt werden dürfe, sprechen und räsoniere zu hören, während man in der gröbsten Inkonsequenz doch immer Menschen, Tiere, Himmel, Sterne, Wald, Feld und Flur und lauter solche Trivial wirkliche Dinge zum Ausdrucke gebrauchte.“

Diese ernste Überlegung bekommt „Der grüne Heinrich“ zu hören.
Man kann Wald, Himmel und solche Dinge mittlerweile sehr gut wieder brauchen.

Nora Sdun
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