Seit dem Beginn der Moderne ist die Malerei schon mehrfach tot gesagt worden und dennoch ist sie immer wieder wie der Vogel Phoenix aus der Asche temporärer Geringachtung zu Höhenflügen aufgebrochen. Gelegentlich aber endete dieser Höhenflug nach einem kurzen steilen Aufschwung mit einem steilen Absturz, wie bei den so genannten Neuen Wilden, die den Hunger nach Bildern nur für kurze Zeit befriedigen konnten.
Immer einmal wieder aber wurde die Geduld und der lange Atem belohnt. Es ist immer wieder behautet worden, dass es wirklich Neues in der Malerei nicht eigentlich geben könne.Es wäre aber zu definieren, wie sich das Neue in der Malerei zeigen sollte,ob man damit die Innovationen oder die Bilderfindung z.B. eines René Magritte meint, dessen malerische Kraft weit hinter seiner erfinderischen zurückblieb, oder ob die Malerei den Zweck ihrer Existenz wesentlich, wenn auch nie ausschließlich, in sich selber sucht, wie beispielsweise bei den Informellen, der Colourfield Malerei oder bei den Konkreten oder ob es im besten Falle gelingt, eine Balance zwischen Inhalt und Form zu halten.
Die Spitzenkragen eines Frans Hals sind ebenso offensichtlich aus Pinselstrichen banaler Ölfarben geformt, wie sie farbigen Nebel eine William Turner; das Lächeln der Mona Lisa ebenso aus Farblasuren aufgebaut wie die ‚American Flag’ von Jasper Johns in der seltenen Enkaustik Technik. Malerei lebt aus der Täuschung, erzeugt Illusionen, überwindet die Grenze des Materiellen ebenso wie auch zugleich des Illusionistischen. Ist der Anspruch an die Malerei deshalb womöglich höher einzuschätzen, als die konzeptuell mit Innovationen überraschende konzeptuelle Kunst? Zumindest erfordert die Malerei höhere Ansprüche an Handwerklichkeit und Könnerschaft, was immer daraus resultieren wird. Wilhelm Worringer hätte gesagt: „Ich antworte mit Fragen!“ Eines ist jedenfalls sicher, wer die Malerei wählt. Hat sich sicherlich einen, wenn nicht für den schwierigeren Weg entschlossen.
Nina Kluth hat sich für den Weg in die Malerei entschieden. Sie bewegt sich also in dem schwierigen Grenzraum zwischen zwei – im Grunde genommen – gegensätzlichen Polen des Malerischen, einerseits dem Verlangen, das Gesehene, das bildhaft Erfahrene auf der Fläche des Bildraumes wiedergeben zu wollen und andererseits einer freien und – wie es zuerst erscheinen will – ungebundenen Malerei des offensichtlich Gestischen. Wir können bei der Betrachtung ihrer Bilder nicht umhin, uns der Landschafts- und Städtebildererfahrungen unseres Musées imaginaires zu erinnern und sie – hinter der virtuosen Malerei – wieder zu einer erinnerten Realität zusammenzufügen, als würden wir die Vor-Bilder der Malerin kennen.
Diese Bilderinnerungen werden – bei genauerem Hinschauen – ausgelöst durch frei auf die Fläche gesetzte und gelöst über die Bildfläche tanzende farbige Pinselstriche, die in der Wirklichkeit auf der Oberfläche neben- und übereinander, in der Fantasie aber wie in einem Vor- und Hintereinander angeordnet zu sein scheinen und dadurch die Illusion vom Raum und Tiefe suggerieren.
Was also ist an den Bilder von Nina Kluth so besonders oder liegt das Besondere in ihrer gebändigten malerischen Virtuosität? Liegt es womöglich darin, dass sie sich in malereiarmer Zeit traut, wieder auf das alte Medium Farbe zu setzten, sich womöglich des Vorwurfes aussetzt, altmodisch (oder postmodern) zu sein und Natureindrücke und visuelle Erlebnisse, wie schon seit vielen Jahrhunderten gepflegt, so in Malerei umzusetzen, dass ihre Bilder auf beiden Schultern tragen, so wie es die Malerei immer tat, wollte sie nicht rein abbildhaft bleiben?
Nina Kluths Bilder vermitteln, was eigentlich nicht vereinbar zu sein scheint: das Zusammenwirken von Sujet und Methode. Beide Komponenten halten sich bei ihr der Waage und bleiben gleich gewichtig. Das macht in ihren Bildern die Spannung aus; beides ergänzt sich auf eine sehr eigene und trotz aller Traditionalität der bildnerischen Mittel unverwechselbare Weise. Man ist sich zu recht nie sicher, ob man ihre Bilder als Malerei über oder von etwas oder als Malerei sui generis erlebt. Kluths Bilder bleiben in diesem frag-würdigen (!) Schwebezustand. Und das ist gut so.
Thomas Deecke, 23.Oktober 2004